André Jaeger bucht Halbpension.

1975

1975 wählen die britischen „Conservatives“ mit Margaret Thatcher nicht nur erstmals eine Lady zur Vorsitzenden, sondern auch gleich eine eiserne. Die OPEC erhöht den Ölpreis um zehn Prozent. Ein Herzinfarkt beendet General Francos 83-jähriges Leben und damit Spaniens 36-jährige Diktatur. Prinz Juan Carlos übernimmt das Ruder. Bill und Paul gründen eine Bude und nennen sie Microsoft. Chrissie Watkins wird von Steven Spielbergs weissem Hai gefressen, in Italien kommt Matteo Renzi auf die Welt, nicht das letzte Mal, und in Schaffhausen übernimmt der 28 Jahre junge André Jaeger von seinem Vater die Fischerzunft.

 1995

1995, zwanzig Jahre später, ist Thatcher weg, Juan Carlos rudert noch, Spielberg dreht noch, Bill Gates startet mit Windows 95 durch und André Jaeger mit seiner Kochkunst, seiner Fusion von asiatischer und europäischer Küche. Bereits zum zweiten Mal nach 1988 ernennt GaultMillau André Jaeger zum Koch des Jahres – und verleiht ihm den sensationellen 19. Punkt.

 Was. für. ein. Koch.

Für mich war André Jaeger immer Vorbild. Mit seiner Sensibilität, seiner Feinfühligkeit komponierte er mit einem Orchester an Gerüchen und Noten in seinem Kopf und mit seiner Vorstellungskraft echte kulinarische Meisterwerke. Er hat mich immer wieder beeindruckt. Er besitzt eine Gabe, die nur grosse Künstler, Musiker, Maler, Köche haben können.

Sein analytisches Denken und seine Sprachkenntnisse setzte er jahrelang als Vordenker und Repräsentant bei Grandes Tables und Relais&Château ein und verhalf so den beiden Vereinigungen zum durchschlagenden Erfolg. André Jaeger war weltweit ein gefragter Gastkoch, von der First Class für die Lufthansa über die Swissair und Swiss bis hin zur MS Europa und den grossen Resorts in Übersee.

AJTurbotIch denke an die vielen Anlässe, welche André bei uns an unserer Genusswoche Davidoff Saveurs in Gstaad prägte. Grandios sein Auftritt auf 3000 Meter über Meer auf dem Glacier3000. Das für mich eindrücklichste Erlebnis war der Moment, als er ohne Infrastruktur auf 3000 Meter ein Menu der Sonderklasse herbei zauberte. Er grillierte einen 15 Kilo schweren Steinbutt. Den Grill hat er eigens für diesen Anlass konstruiert! Als Hauptgang gab es eine Wurst. Aber was für eine. Im Darm waren Entenstücke an einer asiatischen Sauce. Herrlich, grossartig und unbeschreiblich. Er adaptierte die Situation auf 3000 Metern über Meer aufs genialste. Es gibt wohl kaum eine Handvoll Köche, die das auf diesem Niveau gekonnt hätten.

2015

2015, vierzig Jahre nachdem André Jaeger die Fischerzunft übernommen hat, rettet Rentner Bill Gates mit seinen 80 Milliarden Dollar die Welt. Der Öpreis ist gesunken, Thatcher ist heimgegangen, wohin auch immer, Juan Carlos flog von Elefanten und vom Thron, Spielberg dreht noch, der weisse Hai beisst noch, wenn auch weniger kräftig als Frank Underwood, und rudern tut Matteo Renzi, der gefühlt hundertste Regierungschef Italiens in den letzten Jahrzehnten. Und André Jaeger? Er hält seit 20 Jahren ununterbrochen 19 GaultMillau Punkte.

Was. für. ein. Stehvermögen.

Eine Träne sei mir für André gegönnt. Ein grosser Koch tritt ab und hinterlässt eine noch grössere Lücke. Schaffhausen, seine und meine Heimatstadt, wird erst nach seinem Rücktritt merken, was sie an André Jaeger für einen Botschafter hatte. Nie bekam er die Anerkennung der Schaffhauser zu spüren. Zu anders, zu wenig fassbar war er für die beschauliche kleine Stadt am Rhein. Was steht in Schaffhausen am Schwabentor? „Lappi tue d’Auge uf.“ Die Schaffhauser machen sie zu spät auf.

Am 30. Juni 2015 tritt André Jaeger hoch erhobenen Hauptes aus der Fischerzunft und kann dann auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken. Andere Leute brauchen zwei Leben für das, was er in einem Leben erreicht hat. Er geht zum Glück nur in Halbpension. Sein Wissen und seine Inspiration bleibt der Branche erhalten. Wir brauchen Leute wie André mehr denn je.

André: Danke. Für Deine Ratschläge und Deine Tipps und die inspirierenden Gespräche. Ich freue mich und hoffe auf noch viele weitere genussvolle Stunden mit Dir.

HPR_THFErinnerst Du Dich noch, wie wir mit Hanspeter bis in die Morgenstunden auf der Fischerzunft Terrasse sassen, Wein tranken und Du uns Würste aufgeschnitten hast? Hanspeter hat sich auf den Tisch gelegt und zwei Stunden geschlafen. Der Frühdienst hat ihn geweckt. Und er mich. Wir gingen in den Rhein baden. Am 7. April. Er war 7 Grad kalt. Und dann gingen wir mit dem Badetuch ans Frühstücksbuffet. Läck die Aufregung. Was waren wir jung, damals – und sind es geblieben.

Hier geht es zum grossen Fischerzunft Finale.

Erinnerungen:

 

© Fotos von Marcus Gyger

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6 Antworten zu “André Jaeger bucht Halbpension.”

  1. klaeui sagt:

    Auch wenn du Ihn so hoch lobst, ich war einmal in der Fischerzunft. Nie wieder. <Meine Meinung. Da nehme ich lieber im Spunten ein gut bürgerlicher Hauptgang.

  2. Thomas Frei sagt:

    Naja Andreas, da scheint Ihr ja wirklich Pech gehabt zu haben. Kann natürlich passieren, darf aber nicht.Tut mir für Euch leid. Habt Ihr ihm Eure Kritik auch selber gesagt? Und über die Inneneinrichtung, lässt sich immer diskutieren. Mir zum Beispiel gefällt das Vinopium. Und es freut es mich, dass Du solche Lokale besuchst. Mit einem genussvollen Dank für Deinen Kommentar und einem herzlichen Gruss. Thomas

  3. sehr oft besuchten wir frueher die „Fischerzunft,“ als Paar, „en famille,“ oder mit Freunden, zu allen Jahreszeiten: es war immer ein einzigartiger Genuss, eine grosse Freude, sowie oft so kreative Ueberraschungen, dass es uns allen eine grosse Freude war, in dieser heimeligen, freudigen „Fischerzunft“ ein paar Stunden zu verbringen… schade, schade, dass diese schoene „Herberge“ ihr Ende naht, aber ich verstehe es sehr gut, dass unser lieber Herr Jaeger irgendwann etwas anderes machen moechte, nach einem so reich erfuellten Leben. Je lève mon verre à votre santé et votre avenir, et vous remercie pour ces magnifiques „plaisirs de la table,“ partagés avec vous tous, fourmis actives de la „Fischerzunft..!“ mes meilleurs voeux pour le nouveau chapitre de vie, santé!!! – votre texte est très sympathique, cher auteur…

  4. Thomas Frei sagt:

    Ja Frau Ludwig, Sie haben recht. Es ist schade. Sehr schade.

  5. ivano colombo sagt:

    schlimm aber nicht so schlimm andre wird immer andre bleiben

  6. Erik De Gres (Covidien) sagt:

    Sad to hear but wish you all the best in this new step of your life. I always enjoyed coming to the hotel, with excellent service and always with a smile. I will always remember the evenings in wintertime at the fireplace looking to the Rine river and the big brandy bottle…

    Lof of greetings from Belgium.

    Erik & Regine

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