Archiv für ‘Betrachtungen beim Wandern’ Kategorie

Mürrischer Schnee

Müssiger Schnee "elevatiion1049"

Müssiger Schnee „elevatiion1049“

Meine Hotelgäste und meine Wenigkeit wanderten eines schönen Tages von Lauenen an den Lauenensee und wieder zurück nach Lauenen. Während der Wanderung gingen geschätzte 10 Autos an uns vorbei. Mit einem Hechtsprung brachten wir uns jeweils in Sicherheit. Fazit: einer hat gedankt und zwei das Tempo verlangsamt.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Der Thomas Hirschhorn baut innerhalb des Kunst Events „elevation1049“ die Schnee-Skulptur „Mürrischer Schnee“ in Lauenen (Bild).

Der Beschrieb des Kunstwerkes: „Der für seine sozialen Skulpturen bekannte Hirschhorn, greift den Volksmund von Schnee und Eis auf, um eine skurrile und notdürftige Assemblage aus lokalen Gegebenheiten zu schaffen. Wie viele seiner Werke, wirkt Mürrischer Schnee als Anti-Denkmal. Hirschhorn vereint Elemente innerhalb einer bestehenden Situation mit den durch all seine Werke gehenden Themen wie Umweltschutz, Weltpolitik und Konsumdenken zu einer Collage und schafft so neue Realitätsbetrachtungen.

Frage mich grad, wer oder was in Lau. Enen mürrisch sein soll. Der Schnee kann’s nicht sein.

Bergfrühling

Ein Tag so schön wie heute. Und ich packte die Gelegenheit und verzog mich – für einmal ohne Gäste – auf eine kleine Wanderung. Auf das Rellerli. Es ist herrlich zu sehen, wie die Natur zwischen 1800 und 1900 Höhenmetern aus dem Winterschlaf erwacht. Frühlings Krokus drängen sich durch den Schnee und Bienen bestäuben dieselbigen. Vögel zwitschern aus allen Kehlen. Eine Pracht, hier oben sein zu dürfen und die Stille und den Wind zu geniessen.

Ite, missa est! Stapft ab und hinauf in die Berge. Oder lassen Sie sich gondeln. Belauschen Sie die Natur, fühlen Sie sie, riechen und betasten Sie die Natur. Legen Sie sich ins Gras und schauen Sie den vorbeiziehenden Wolken nach. Lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf. Es ist Wellness für die Seele. Wie ich dieses Wort hasse,  W E L L N E S S , so ein saublödes Wort.  In diesem Sinne, vergesst Wellness, spart Wasser und langweilt Euch.

Aber vielleicht freuen Sie sich schon heute auf Ihren Burnout. Als kleiner Trost darf sich Burnoutmensch nachher sagen, dass er wenigstens einmal gebrannt hat. Ich weiss ich weiss, dieser letzte Satz steht zusammenhangslos zum obigen Text. Er steht rein zufällig hier. Der Satz. Ich hatte ihn schon gestrichen. Aber er gefiel mir so sehr, dass ich ihn stehen liess. Den Satz. Hier geht’s ab. Zu den Bildern.

 

Wandern ist sexy.

Mein Vater liebte rote Socken. Er hatte Schränke voll mit roten Kniesocken. Auf unseren endlosen Sonntagswanderungen hat er sie getragen. Damit alle sie sahen, hat er Hosen mit der Bezeichnung Knickerbocker montiert. Den Spazierstock in der Rechten und die Brissago in der Linken ist er marschiert, und ich bin hinterher gekeucht. Nach mir nicht die Sintflut, sondern die Mutter. Meistens haben wir uns verlaufen. Vermutlich habe ich nur darum Koch gelernt, damit ich am Sonntag arbeiten durfte.

Was früher mein Vater war, ist heute meine Frau. Stichwort: Wellness. Höre ich das Wort, dann habe ich Angstschweiss-Ausbrüche. Ayurveda hier, Erlebnisdusche da, heisse Steine und kalte Aufgüsse und… Wellness Hotels gleichen sich wie ein Ei dem andern. Allen voran im österreichischen nahen Osten. Jetzt kommt der gute Zukunftsprofessor Horx und redet von Selfness. Von sozialer Kompetenz. Wellness. Mindness. Hopeless.

Ganz unter uns: Ich habe genug von der Hightech Hektik und dem Hyperstress. In diesen Welten verliert der Mensch ein realistisches Verhältnis zu seinen Fähigkeiten und Grenzen. Um vernünftige Massstäbe zu gewinnen, muss der Homo Trabiens ab und zu wieder in die Natur. Zum menschlichen Biotop. Wandern ist sexy. Wellness ist Stress.

Heute, 40 Jahre nach den Wanderungen mit meinen Eltern, wandere ich mit meinen Gästen. Wir führen Gespräche über Gott und die Welt. Wir kommen uns näher, indem wir gemeinsam mit eigener Kraft ein Ziel, den Gipfel erreichen. Das verbindet. Aus Gästen werden Freunde. Gast-Freund-Schaft.

Das muss die Zukunft für uns Berghoteliers sein. Unsere Natur zu nutzen. Die Produkte, welche aus dieser Region stammen und von Menschen aus der Gegend hergestellt und gepflegt werden. Wir sind eigenständig und niemand, auch im entferntesten aller Winkel der Welt, einfach niemand kann uns und unsere Gegend kopieren. Wir sind kein Trend und wir sind kein Konzept, sondern wir sind wir! Die Menschen, die Landwirtschaft, der Tourismus machen einen Ort unverwechselbar und damit zu einer Marke. Ich besinne mich lieber auf die eindrückliche Kraft des Wirklichen, statt den Zukunftsforschern in die Zukunft nach zu rennen.

Die Bilder stammen übrigens von meinem Freund, Marcus Gyger ©. Wehe der oder dem, der sie klaut resp. kopiert. Die Bilder. Dann werde ich hässig.

Bergschnee & Talschnee

Meine Kolumne im „Anzeiger von Saanen“ vom 19. Februar 2010

Schneefall zum Ersten:
Wir freuen uns über jeglichen Schneefall. Im Fall. Im Sommer natürlich weniger. Aber ab Mitte Oktober kann‘s losgehen. Weil dann lassen wir rund um die Saaner Alpen schneien. Sind ja für alle Eventualitäten vorbereitet. Könnte ja sein dass… Googlen wir mal Schneekanone und schauen wir bei Wikipedia unter Punkt 6 beim Inhaltsverzeichnis „ökologisch und ethische Problematik“ an. Etwa 3‘100 Schneeerzeuger werden Europaweit eingesetzt. Diese verbrauchen 260‘000 MWh Strom. Somit verbrauchen die Schneekanonen Europas jährlich soviel Energie wie eine Stadt mit 150‘000 Einwohnern und soviel Wasser wie Hamburg. Forscher haben festgehalten, dass in den französischen Alpen bis zu 70% weniger Wasser in den Bächen und Flüssen fliessen. Die Vorderseite: Schneekanonen werden verwendet, um Schnee zu ersetzen, der durch den Klimawandel ausbleibt. Die Rückseite: der hohe Energieverbrauch selber trägt wieder zur Verstärkung des Klimawandels bei, was wiederum nach noch mehr Schneekanonen schreit. Auch im Saanenland schreien wir nach schneeerzeugenden Maschinen. Nach dem Schreien kommt das Investieren. Hang um Hang wird mit künstlichem Schnee bedeckt, auf dass die Bergbahnen voll gepackt mit Skimenschen, auf die Berge fahren. Richtig saublöd wird es erst, wenn die Bergbahn defekt ist weil zu rostig. Das ist Zufall. Der kann ja nicht wissen, dass er nicht geplant war.

Schneefall zum Zweiten:
Im Tal drunten schneit‘s natürlich. Lautlos bis in die frühen Morgenstunden. Ein paar Zentimeter reichen und eine Armada von Megaschaufeln, die von Riesenrädern getragen werden, kommen in Gang gesetzt durch die Strassen. Das Motto: Asphalt raspeln. Rückwärts – vorwärts – seitwärts – bergwärts – talwärts. Es wird geraspelt bis der Asphalt fliegt. Weg muss er. Der Schnee. Einfach nur aus dem Weg, damit der Weg frei wird für Fuss- wie Autogänger. Selbst Land Rover und Jeep Ladys können somit gekonnt durch die Kurven gleiten. Die Promenade wird hergerichtet wie ein Green auf einem Golfplatz. Alles auf den Zentimeter genau freigeschaufelt. Da können wir sauglatt mit Discoschlappen vor die Boutique schlifern.

Aufgepasst, jetzt wird‘s un-ironisch. Es darf nicht zum Kreislauf werden, dass wir im Tal den Schnee in den Louibach kippen und ein paar Meter weiter unten den nicht mehr gefrorenen Schnee als Wasser aus der Saane auf den Berg pumpen. An einem Ort übelt der Schnee vor sich hin, ein paar Meter weiter oben wird Schnee auf Frau Holle komm raus erzeugt. Räumen wir den Schnee weniger hektisch. Lassen wir mal hie und mal da einen Haufen, Schneehaufen bleiben. Dieser Schneehaufen könnte von Kindern berutscht, behüpft und belacht werden. Auch auf den Strassen darf es Schnee haben. Wir müssen nicht mit achtzig durch die Strassen rädern. Lassen wir Langsamkeit in unser Leben. Es geht dann nämlich auf einmal alles schneller.