Sind wir nicht alle ein bisschen Seldwyla?

Eigentlich hatte ich schon eine andere Kolumne geschrieben. Fix war sie und fertig. Doch eines Nachts führte mich ein Traum nach Seldwyla. Der beschaulichen Stadt aus Gottfried Keller’s Novellen. Die Gründer derselbigen haben das Städtchen eine gute halbe Stunde von einem schiffbaren Flusse angepflanzt, zum deutlichen Zeichen, dass nichts daraus werden solle. Sie sind ein temperamentvolles Völkchen, stets lustig und zu Vergnügung aufgelegt. Wenn der Wein gärt, welcher rund um das Städtchen gedeiht, taugen die Seldwyler am wenigsten.

In einer so lustigen und seltsamen Stadt kann es an allerhand seltsamen Geschichten und Lebensläufen nicht fehlen.

Nicht, dass ich die Saaner mit den Seldwylern vergleichen möchte. Es kann ja eine Häufung von Zufällen sein, dass mir in letzter Zeit die Seldwyler mit ihrem unüblichen Handeln immer wieder in die Sinne kamen.

Seldwyla zum Ersten
Es war bekannt, dass die Umfahrungsstrasse von Gstaad einen neuen Belag bekommt. Sozusagen ein Taufgeschenk zum 13. Geburtstag. Zwei Wochen vor dem geplanten Umbau, wurde der Tunnel von Dach über Seitenwände bis zum Belag von unliebsamen Partikeln befreit. Ich glaube nicht, dass dies dem Osterhasen zuliebe gemacht wurde. Der ist nämlich lieber am Tageslicht und versteckt seine Nestchen unter den Osterglocken.

Zwei Wochen später: Seldwyla zum Zweiten
Vollkrass Seldwyla war die Mitteilung im Anzeiger von Saanen. Dort stand zu lesen: „Die kleine Umfahrung Gstaad wird vom 6. April bis 2. Juli ab dem Kreisel Dubi bis Kreisel Würsten auf einer Länge von rund einem Kilometer saniert. Während dieser dreimonatigen Intensivbauphase kann der Verkehr auf der Umfahrung nur einspurig in Richtung….“.

Lassen wir uns dies auf der Zunge vergehen. 3 Monate + 1 Kilometer ergibt eine Intensivbauphase. (Ich möchte nicht wissen, wie lange der Bau ohne Intensivphase ginge.) Auf mein Gewerbe umgemünzt wäre dies so: Im Restaurant wird um die Mittagszeit ein Teller bestellt. Der Wirt sagt: „Super ich mach eine Intensivkochphase, um Mitternacht ist der Mittagsteller bereit.“ He, das kann doch in der heutigen Zeit nicht sein. Ich meine, ein Tunnel ist tagsüber gleich dunkel. Es könnte doch auch Nachts gearbeitet werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich empfinde diese sogenannte „Intensivbauphase“ gegenüber dem örtlichen Gewerbe eine Frechheit. Wir geben uns Mühe, haben grösstenteils Detailgeschäfte, Restaurants  und Hotels während 360 Tage geöffnet. Irgendwelche Beamten bringen es nicht fertig, eine Unternehmung zu finden, die auf Tunnel komm raus diese Belagserneuerung innert nützlicher Frist fertig stellen kann. Unglaublich. In Bern wurde die Marktgasse (circa 800 Meter lang) während etwa 3 Wochen totalsaniert. 24 Stunden wurde daran gearbeitet.

Seldwyla zum Dritten.
Der Verkehr, welcher dank der Intensivbauweise nur während dreier Monate ins verkehrsberuhigte Gstaad umgeleitet werden muss, schlängelt sich fortan stinkend und kolonisiert über schlafende Polizisten (so heissen die verkehrsberuhigenden Bremshügel. Im Fall.), vorbei an staunenden Passanten. Ich mache fast eine Wette, dass die nächste Sanierung die nun befahrenen Bsetzisteine betreffen wird.

Seldwyla zum Bündner.
Eigentlich wollte ich rein gar nichts über das Alphüsli im Talboden schreiben. Zu blöd. Aber die 16-jährige (!) Franziska Raaflaub hat dazu in der AvS Ausgabe vom 9. April einen sackstarken Leserbrief verfasst. Da stehe ich auf und klatsche ob der Wortwahl in die Hände. Vielleicht noch dies: Gstaad globalisiert sich, indem der Globus sich gstaadisiert.

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